Juli 18

Wie die Stadt Neu-Ulm mit der Artenvielfalt umgeht

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Wir schreiben das Jahr 2019. Die Stadt Neu-Ulm feiert 150 Jahre Stadterhebung. Das Volksbegehren Artenvielfalt endet mit einer Rekordbeteiligung.

Was hat das nun alles mit der Stadt Neu-Ulm und Artenvielfalt zu tun?

Erkläre ich Euch gerne.

Etwas Vorgeschichte muss aber zum Verständnis schon sein.

Streuobstwiese Burlafingen

Vor drei Jahren bekam ich eine Streuobstwiese (Flurnummer 399) der Stadt Neu-Ulm zur Pacht angeboten. Knapp 2500 m² groß. Ideal weil darauf 14 Obstbäume stehen. Darunter Quitte, Apfel, Birne und Kirsche. Das Gelände war umzäunt und bat somit auch etwas „Diebstahlschutz“.

Das Geniale an dem Standort: Es gab auch einen großen Stadel der früher für die Schafhaltung genutzt wurde. Um die 50 m². Praktisch für die Unterbringung des Materials zum Imkern.

Ein Top Standort für meine Bienen. Habe schon zuvor gehört, dass die Stadt Neu-Ulm sich besonders um die Vermittlung an Grundstücke für Imker kümmert. Also hab ich da natürlich sofort angerufen und nachgefragt.

Hat auch alles soweit funktioniert. Seitdem standen einige meiner Bienenvölker auf diesem Grundstück und verrichteten ihre Arbeit.

Nun ja, bis zu diesem Jahr. Am 29.04.19 bekam ich dann einen Anruf von der Stabstelle Liegenschaften. Hört sich wichtiger an als es eigentlich ist.

Die Dame dort ist für die Verpachtung von Kleingärten/Grundstücken zuständig. Sie teilte mir mit, dass die Streuobstwiese gekündigt sei und ich bis zum 30.06.19 das Grundstück räumen und verlassen soll. Die schriftliche Kündigung kam dann ein paar Tage später.

Begründung für die Kündigung war übrigens das dort unter Vorbehalt ein Gewerbegrundstück entsteht.

F.UCK. war das erste Wort, das mir durch den Kopf ging. Es ist ja nicht so das man als Selbständiger einen Esel hat der Zeit scheißt. Außerdem war ein Urlaub geplant und es war Hochsaison was die Bienen betrifft.

Aber hilft ja nix. Denn vertraglich war das natürlich so festgelegt das ich alles abbauen muss.

Stadel abbauen, Umzäunung entfernen, alles fachgerecht entsorgen. In Rekordzeit dank guter Planung und viel Hilfe meiner Frau und guten Freunden.

Neues Bienengrundstück?

Das Problem für einen neuen Standort hab ich ganz schnell innerhalb der ersten paar Tage gelöst. Umstellen konnte ich die Bienen aber erst nach der Frühjahrs Ernte. Alles andere wäre blödsinnig gewesen.

Mit dem Kündigungstermin erkennt man übrigens auch das sich die Mitarbeiter der Stadt Neu-Ulm nicht mit Bienenhaltung auskennen. Ansprechpartner dafür würde es genügend geben. Zum Beispiel beim Imkerverein Neu-Ulm.

Jedenfalls wollte mir die Stadt Neu-Ulm ein neues Grundstück anbieten, dass ich dankend abgelehnt habe. Zweimal denselben Fehler mache ich bestimmt nicht.

Das Grundstück wäre nicht umzäunt und ungeschützt im Pfuhler Ried gewesen. In der Nähe davon wird demnächst die B10 vierspurig ausgebaut. Direkt neben landwirtschaftlich genutzten Flächen. Ich brauche nicht zu betonen das dort Pestizide zum Einsatz kommen.

Bleib locker, alles ist gut gelaufen

Die Einstellung könnte ich jetzt natürlich an den Tag legen. Mir geht es nicht darum das ich mit meinen Bienen schnell umziehen musste und das Grundstück in kurzer Zeit geräumt habe. An solchen Aufgaben wächst man nur.

Was mir allerdings überhaupt nicht in den Kopf gehen will ist der sinnlose Flächenverbrauch in Neu-Ulm. Um es nochmals zur erwähnen: 1 745 383 Wahlberechtigte in Bayern haben sich beim Volksbegehren Artenvielfalt eingetragen. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von 18,4 %.

Wohlgemerkt handelt es sich bei dem Grundstück um eine Streuobstwiese mit 14 Obstbäumen auf dem besonders und streng geschützte Tierarten wie z.B. Zauneidechsen leben.

Um mal einen kurzen Überblick zu bekommen hab ich Euch eine Karte gebastelt. Der rote Bereich ist die Fläche der Streuobstwiese, die einem Gewerbegebiet weichen soll.

Sehr wahrscheinlich weicht auch der Bolzplatz + Spielplatz davor (blau eingezeichnet). Beim grünen Bereich handelt es sich um Gewerbegebiet das überwiegend leer steht, nach meinen Informationen. Warum wird so etwas nicht als Erstes in Betracht gezogen? Dort ist die Fläche schon versiegelt und es müssen keine Bäume gefällt werden.

Ein Gewerbegebiet entsteht innerhalb kürzester Zeit. Sagen wir mal in 3 Monaten könnten da die ganzen Bäume gefällt, alles eingeebnet und eine Halle aufgestellt werden. Zeitlich kein Ding.

Wie lange braucht es wohl bis ein Kirschenbaum eine solche Höhe erreicht? Wie vielen Tieren wird dort ein Lebensraum geboten?

Kirschbaum Burlafingen
Kirschbaum Burlafingen Streuobstwiese

Die Apfelbäume dort sind übrigens ähnlich groß.

Wenn nun dort also ein Gewerbegebiet entstehen soll, wird wieder zusätzlich Fläche versiegelt und wertvoller Lebensraum von bedrohten Tierarten vernichtet.

Sagte ich schon das dort neben der Zauneidechse auch sehr viele Wildbienen wie z.B. Blaue Holzbiene (steht auf der Roten Liste) oder Grünspechte leben?

Interessiert die Stadt Neu-Ulm aber nicht. Warum ich das weiß? Hab mal nachgefragt bei verschiedenen Stellen.

Nachbohren bei diversen Stellen

Meine erste Anfrage wie mit solchen Bauvorhaben umgegangen wird, hab ich an den Bund Naturschutz Ortsgruppe Neu-Ulm gestellt. Leider ohne jemals eine Antwort erhalten zu haben.

Die nächste E-Mail ging dann an die Fraktionsvorsitzende der Grünen. Die werben ja momentan kräftig mit Bienchen und Blumen auf ihren Plakaten. Dort bekam ich schnell eine Antwort. Sie weiß von keinem Bauvorhaben dort und sie wird sich erkundigen.

Hmm, komisch dachte ich. Da ist ein Gewerbegebiet auf einer Streuobstwiese geplant und die Grünen wissen nichts davon? Gut, kann ja mal vorkommen, sollte es meiner Meinung nach aber nicht. Das war die Nachricht vom 05.07.19. Seither kam nix mehr. (Updates werden natürlich eingefügt)

Als nächsten Ansprechpartner hab ich mir dann die Untere Naturschutzbehörde vorgenommen. Schließlich sollten die näheres wissen. Vor allem ob da dann auch eine Umsiedelung der dort lebenden Zauneidechsen vorgenommen wird. (ist übrigens nicht ganz billig und kostet pro Tier wohl 2000 – 4000 €).

Hummeln und andere Wildbienenarten umzusiedeln dürfte nicht ganz so einfach werden. Da wird nach dem Motto gehandelt: Mit Verlusten ist zu rechnen!

Als Antwort erhielt ich folgendes:

für diesen Bereich besteht bereits ein rechtskräftiger Bebauungsplan und somit Baurecht. Da ist eine Bebauung somit nicht mehr aufzuhalten. Die Belange des Artenschutzes sind jedoch zu beachten.

Untere Naturschutzbehörde Landkreis Neu-Ulm

Wenn ich Sätze höre wie: „Da ist eine Bebauung somit nicht mehr aufzuhalten.“ oder „Die Belange des Artenschutzes sind jedoch zu beachten.“ könnte ich kotzen.

Hört sich ja fast so an, als ob es unmöglich wäre zum Mond zu fliegen. Das kommt aus dem Mund einer Behörde, die sich eigentlich darum kümmern sollte, solche Gebiete zu erhalten. (Link zu den Aufgaben)

Gut, das die Politik ihre Ziele öfters* verfehlt ist ja nun nichts Neues mehr.

Leider hat das Grundstück nicht 2500 m² oder gar mehr. Sonst würde es nämlich, wenn das Volksbegehren Artenschutz umgesetzt wird, nicht mehr wegkommen dürfen.

Oder es wären schon zuvor Bäume darauf gefällt worden: Bayern: Erste Bauern fällen Obstbäume wegen Artenschutzgesetz

Fazit

Für mich ist das Thema noch nicht erledigt. Ich werde das genauestens beobachten was dort passiert.

In Neu-Ulm wird so viel neues Gebaut. Flächenversiegelung galore! Bei den meisten Neubauten werden nämlich meist auch Gärten des Grauens angelegt.

In Zukunft dürfen sich dann die Honigliebhaber auf Steinhonig freuen.

Es gibt durchaus Orte, wenn auch nicht zu Bayern gehörend, die inzwischen erkannt haben, wie wichtig Artenschutz und der Erhalt von Lebensräumen ist. Dort werden Schottergärten, zumindest in Neubaugebieten, verboten.

Die Stadt Neu-Ulm hingegen hat bisher nichts gegen einen solchen Flächenverbrauch unternommen und gibt sogar wertvolle Streuobstwiesen für Gewerbegebiete frei.

Da sag ich doch: Herzlichen Glückwunsch zum 150-jährigen. Sicherlich wird die Stadt keine weitere 150 Jahre bestehen bei solch weitsichtigen Maßnahmen.

Nun würde ich noch von meinen Lesern gerne eine Meinung zum Thema hören.

Was findet ihr in Zeiten der Klimakrise** wichtiger? Ein Gewerbegebiet oder ein Lebensraum für bedrohte Tierarten der zudem auch evtl. zunehmende Regenmengen spielend aufnehmen kann?

*öfters: kann auch durch immer ersetzt werden
**Klimawandel verharmlost alles; Klimakrise beschreibt die Problematik, die wir demnächst haben, wenn keiner ins handeln kommt, treffender.

P.S.: Wer jetzt meint ich möchte mich nur über die Stadt Neu-Ulm auskotzen weil ich meine Bienen umstellen musste, liegt falsch. Darüber bin ich im Nachhinein ganz froh. Ist jetzt alles an einem Ort und ich habe weniger Arbeit.

Was aber gar nicht geht ist die geheuchelte Klimapolitik verschiedenster Parteien die am Ende doch nicht an den richtigen Rädern drehen.


Tags

artenschutz, flächenverbrauch, flurnummer 399, stadt Neu-ulm, untere naturschutzbehörde, volksbegehren artenvielfalt


Jochen

Über den Autor

Hi, ich bin Jochen und helfe angehenden Imkern mit meinem Blog "Let it Bee - Geschichten eines Imkers" bei den verschiedensten Fragen zur Imkerei.

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  • Lieber Jochen,
    Du hast eine schöne, übersichtliche Webseite, herzlichen Glückwunsch!
    Zu Deinen Erfahrungen mit Behörden: ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht, außerdem war ich 5 Jahre Stadrat in einer Kleinstadt bei Ludwigsburg. Hier sollte ein 20 Hektar grosses Gewerbegebiet mitten in einer einmaligen Landschaft entstehen, was durch den geballten Einsatz vieler Bürger und Vereine schließlich verhindert wurde…
    Du hast zu schnell aufgegeben. Bis auf Deinem (ehemaligen ) Bienengrundstück gebaut wird, sind viele Hürden zu überwinden. Das dauert Jahre. Also wäre überhaupt keine Eile nötig gewesen. Ein freundlicher Hinweis auf Bienen spezifische Erfordernisse hätte wahrscheinlich genügt, den Termin um 1 Jahr zu verlängern. Vielleicht wird dort überhaupt nicht gebaut, da kein Bedarf besteht. Du schreibst ja, dass das andere Gewerbegebiet teilweise leer steht.
    Mit Behörden besteht immer Verhandlungsspielraum. Man muss verstehen, wie Beamte ticken, Das ist für einen Selbstständigen schwer nachvollziehbar. Sie tun ihre Arbeit nach Vorschrift. Aber da gibt es immer Spielraum. Jeder Beamte hat eine andere Sichtweise. Was das eine Büro anordnet, kann das andere Büro am nächsten Tag kippen. Außerdem ist jeder Sachbearbeiter für Freundlichkeit und Verständnis empfänglich, man darf sich nie aufregen. Die Entscheidungen sind nicht in Stein gemeiselt.

    Wenn man etwas erreichen oder verhindern will, braucht man Mitstreiter. Je mehr, desto besser! Stadträte aller Fraktionen, nicht nur der Grünen! Vereine, Verbände, übergeordnete Behörden, andere Unternehmer, Lehrer ( die können gut reden und kennen viele Leute!), usw. Das ist natürlich mühsam. Man braucht immer ein Argument! Ich bin „Naturliebhaber“ reicht nicht. Eidechsen- oder Amphibienschutz ist gut.
    Notfalls muss man die Sache so lang wie möglich hinauszögern: immer widersprechen, hinhalten, neue Anträge, usw. Manchmal schlafen die Beteiligten ein oder werden versetzt…

    Ich wünsche Dir weiterhin alles Gute und viel Freude mit Deinen Bienen.
    Wolfgang

    • Hallo Wolfgang,

      schön das dir meine Seite gefällt.

      Vielen Dank für deine Ausführungen zum Thema. Leider habe ich nicht zu schnell aufgegeben.
      Inzwischen wurde das Gelände schon einplaniert und der wertvolle Baumbestand gefällt.
      Allerdings vermute ich das eine Umsiedelung der Zauneidechsen nicht wie vorgesehen vorgenommen wurde.

      Die Untere Naturschutzbehörde arbeitet in Neu-Ulm eher nicht so wie sie es eigentlich sollte.
      Da werden nur in der Presse ein paar Dinge positiv hervorgehoben, hinten herum aber Streuobstwiesen
      heimlich still und leise entfernt.

      Viele Grüße

      Jochen

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